Die Emscher – Der wahre Pott Äquator
Wer an den Ruhrpott denkt, dem kommt sie sofort in den Sinn – die Emscher. Seit Jahrhunderten fließt der knapp 70 Kilometer lange Fluss direkt durch das Herz des Ruhrpotts. Doch lange Zeit hatte die Emscher einen eher zweifelhaften Ruf. Als stinkendes »fleischfarbenes Rinnsal« galt sie vielen Menschen im Ruhrgebiet als Synonym für die Schattenseiten des industriellen Zeitalters. Heute hat sich das Bild gewandelt. Dank eines Milliarden-Projekts ist die Emscher auf dem Weg zum naturnahen Fluss – und wird auch immer mehr als Erholungsort entdeckt. Dennoch haftet ihr bis heute der Titel »wahrer Pott Äquator« an.
Denn während das Ruhrgebiet früher durch den Bergbau und die Stahlindustrie geprägt war, sorgte die Emscher jahrzehntelang für eine klimatische Ausnahmesituation. Wärmeinsel-Effekt und Inversionswetterlagen führten dazu, dass es entlang des Flusses im Durchschnitt ein bis zwei Grad wärmer war als in den umliegenden Stadtteilen. Schuld daran war vor allem die immense Verschmutzung der Emscher über Jahrzehnte. Rund 900 Industrie- und kommunale Kläranlagen leiteten ihrem Abwasser direkt in den Fluss – ohne jegliche Reinigung.
Dadurch verfärbte sich das Wasser der Emscher grünlich-braun. Statt Fischen tummelten sich Algen und Bakterien in dem übel riechenden Brei. In den 70er Jahren erreichte die Verschmutzung ihren traurigen Höhepunkt. Der Sauerstoffgehalt im Wasser betrug nur noch 0,5 Milligramm pro Liter, Fische konnten darin nicht mehr überleben. Entsprechend verrufen war der Fluss. Viele Menschen im Ruhrgebiet mieden es, sich der Emscher zu nähern. Dennoch waren ihre Ufer für manch einen ein willkommener Ort, um Müll und Abfälle einfach ins Wasser zu kippen.
Doch in den 80er Jahren wurde die extreme Verschmutzung der Emscher schließlich zum Politikum. Umweltschutzgruppen machten auf den desolaten Zustand des Flusses aufmerksam. Die EU drohte Strafzahlungen an, sollte die Situation nicht verbessert werden. Und auch der anhaltende Strukturwandel im Ruhrgebiet weg von der Schwerindustrie eröffnete neue Perspektiven. So startete 1989 schließlich das bis dato größte ökologische Projekt Europas: die Renaturierung und der ökologische Umbau der Emscher.
Bis heute werden rund 5,5 Milliarden Euro in das Mammutprojekt investiert. Ziel ist es, das gesamte Abwasser abzulösen und zukünftig dezentral in Kläranlagen zu reinigen, anstatt es weiter direkt in die Emscher zu leiten. Wo es möglich ist, soll der Fluss renaturiert und Lebensraum für Pflanzen und Tiere geschaffen werden. Ein aufwendiges Kanalsystem führt das gereinigte Wasser heute oberirdisch durch das Ruhrgebiet. Mehr als 100 Kilometer des ehemaligen offenen Grabens wurden so bereits rekultiviert.
Die Erfolge sind bereits sichtbar. An vielen Stellen ist die Emscher heute wieder klares Wasser. Und auch erste Fischarten wie Döbel oder Gründling siedelt sich wieder an. Entlang des Flusses wurden außerdem zahlreiche Parks, Wiesen und Erholungsgebiete angelegt. Vom „fleischfarbenen Rinnsal“ ist heute kaum noch etwas zu sehen. Stattdessen finden immer mehr Menschen ihre Freude an Spaziergängen oder Radtouren entlang der Emscher. Die Renaturierung hat das Image des Flusses komplett gewandelt.
Trotzdem bleibt die Emscher für viele Menschen im Ruhrgebiet bis heute der wahre Pott-Äquator. Denn auch wenn sie längst nicht mehr so stark verschmutzt ist, führen die vielen Asphalt- und Betonflächen in der dicht besiedelten Region immer noch zu Inversionswetterlagen. Gerade im Winter bleibt die Luft häufig zwischen den Hochhäusern hängen, was für höhere Temperaturen als in ländlicheren Gebieten sorgt.
So hat sich die Emscher von einem der am stärksten verschmutzten Flüsse Europas zu einem Vorzeigeprojekt für Ökologie und Naturschutz gewandelt. Dennoch erinnert ihre Bezeichnung als „Pott-Äquator“ bis heute an ihre jahrzehntelange Funktion als Klimaanlage des Ruhrgebiets. Sie mahnt daran, wie der Mensch die Natur über Jahrzehnte hinweg ausgebeutet hat. Zugleich ist die Emscher heute ein Beispiel dafür, wie erfolgreich der Wandel zu mehr Umweltbewusstsein gelingen kann. Ihre Neuentdeckung als Erholungsraum wird das Ruhrgebiet auch in Zukunft prägen.